France e(t) Italia: Eine kleine Reise in die Vergangenheit

Lange Jahre bin ich nicht an den Orten gewesen, an denen ich den größten Teil der Sommer meiner Kindheit verbracht habe.

Die Erinnerungen an viele Landschaften, Städte und Bauwerke haben sich nur schemenhaft erhalten – die Erlebnisse und Gefühle von damals sind jedoch immer noch präsent und haben mich ein ganzes Stück weit geprägt: Der erste Liebeskummer, der erste Wein, wie es ist, den eigenen Geburtstag zu vergessen und nur das Nötigste mitzuhaben, im Unterwegssein mehr zuhause zu sein als in dem Zelt, das vier Wochen im Jahr das Kinderzimmer ersetzte, – und es sind vor allem anderen die Erinnerungen an die Zeit, die ich mit niemand anderem unterwegs war als mit meinem Vater.

Sicherlich kann kein Mensch in zehn Tagen alles noch einmal sehen, was in der Vergangenheit insgesamt Monate in Anspruch genommen hat. So blieben auf meiner kleinen Reise durch Frankreich und Italien Orte wie die Kathedrale in Reims, die Arena in Arles und der Lago di Lugano außen vor.

So führte mich der Weg über kurze Zwischenstopps in Frankfurt am Main und Champagnole an der Rhône entlang direkt an die Ardèche. Zweimal bin ich in der fernen Vergangenheit hier gewesen – an dem kleinen Flüsschen mit seinen Herausforderungen und Tücken für jeden, der zum ersten Mal im Kanu sitzt, dessen Umgebung aber vor allem eines ist: wunderschön. Den kleinen Campingplatz am Pont d’Arc hatte ich vollkommen anders in Erinnerung; doch spätestens als ich das erste Mal direkt am Wasser war, wusste ich, dass ich genau hier direkt auf der Schwelle von Kindheit und Jugend Wochen verweilt hatte. Weniger Menschen waren damals hier, weniger Zäune – und vor allem weniger Mücken. Aber an keinem Ort der Welt ist es schöner, ein paar Kilometer (!) zu schwimmen als hier.

Vollkommen verwirrt hat mich die Tagesfahrt zum Pont du Gard in der Nähe von Nîmes: Schon Kilometer vor dem Aquädukt wird der gesamte Strom der Besucher/-innen auf einen riesigen Parkplatz geleitet von dem aus das Bauwerk zu erreichen ist. Ein Spaziergang auf der allerobersten Ebene – der Abdeckung des ehemaligen Wasserlaufes – ist nicht mehr möglich. So wird dieses Abenteuer meiner Kindheit auf ewig einzigartig bleiben …

Der Weg führte mich weiter durch Avignon und die Camargue nach Fréjus und dann entlang der Côte d’Azur in die Alpes-Maritimes. Für jemanden, der wie ich selten mit dem PKW unterwegs ist, war diese Strecke sicher eine von denen, die mir lange in Erinnerung bleiben wird: Blau-blinkende Zebrastreifen in Nice, endlos einsame Passstraßen, auf denen einem nur ab und an Radrennfahrer begegnen, eine fast atemberaubende Landschaft gepaart mit der faszinierenden Musik von Esbjörn Svensson ließen diese Strecke zu einem fast surrealen Erlebnis werden.

Um so ernüchternder war die Ankunft am Ende des Passes in Italien. Zugegebenermaßen kannte ich das Piemonte bisher nur aus der Werbung. Doch nicht nur die eintönige Landschaft, die unendliche Suche nach einer betriebsfähigen Tankstelle und einem Platz für die Nacht, vor allem die Paarung von ständiger Geschwindigkeitsüberwachung und drängelnden PKW raubte mir den letzten Nerv. Und wer weiß, wie es mit meiner Laune am nächsten Tag bestellt gewesen wäre, hätte es in Asti nicht doch einen Campingplatz gegeben, den es eigentlich gar nicht gibt, auf dem mich ein freundlicher Platzwart herzlich in Empfang nahm …

Den Abschluss meiner Reise bildete schließlich am Lago di Garda ein wohl bekannter Ort meiner Kindheit. An keinem Ort sonst waren zumindest die Grundzüge dieselben geblieben wie vor Jahrzehnten: Ob nun Zypressen-Allee, Steg, oder eben jenes Gebäude, an dem ich das wohl spannendste Fußballspiel meiner Kindheit sah, in dem Deutschland Frankreich 1982 im Halbfinale mit 8:7 nach Elfmeterschießen bezwang – vertraut war es und doch wieder ganz neu. Denn nicht nur das heraufziehende Gewitter, das Licht über Oleander und Bambus, auch die Stimmen in der anbrechenden Nacht und der Geruch von feuchten Kieseln am schäumenden Wasser nehme ich heute anders war als damals, und werde mich noch lange an diesen Moment erinnern, wo zwischen Vergangenheit und Gegenwart die Zeit für einen ganzen langen Moment still zu stehen schien …

Die Fotos meiner Rundreise sind übrigens hier zu finden.

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